Gibts bald die Pille? Hepcidin und mehr

In diesen älteren Diskussionen der Vorjahre könnt Ihr lesen und auch weiter aktiv schreiben. Beachtet, dass sich der Stand der Forschung seitdem geändert haben kann. Es gibt inzwischen neue Empfehlungen und Leitlinien zur Diagnostik und Therapie.
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Lia
Alter Hase
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Registriert: Mo 15. Mär 2004, 16:08

Gibts bald die Pille? Hepcidin und mehr

Beitrag von Lia »

Hallo miteinander, hatte mir ja zum zehnjährigen Geburtstag unseres Forums vorgenommen, wieder mehr Texte zu schreiben.
Einigen von uns gehen ellenlange Texte derzeit verständlicherweise auf den Wecker. Ich wag dennoch einen langen Text und versuche als Laie, die Zusammenhänge verständlich zu erklären, daher im Forum "Hämochromatose" und nicht in der "Fachsimpelei". Ich hoffe, das ist ok. (PN, wenns verschoben werden soll)

Gibt es bald eine synthetische Eisenbremse als Pille?
(Nein, Pille aus der Kaffeeklatsch-Hämosphäre, Du bist nicht gemeint, Du sollst nicht synthetisiert werden! :mrgreen )

Bei fast allen Forumsmitgliedern ist aufgrund einer Genmutation die Eisenaufnahme aus der Nahrung erhöht, was zu Eisenüberladung führt. Schuld daran ist erblich bedingt ein von Geburt an bestehender dauerhafter Mangel an sogenanntem Hepcidin.

Hepcidin
Das "Eisenhormon" Hepcidin gilt als Hauptregulator des Eisenstoffwechsels. Es wird in der Leber gebildet.
Hepcidin bremst die intestinale Eisenaufnahme (= die Eisenaufnahme des Nahrungseisens über den Darm)
und hemmt die Freisetzung von Eisen aus den Makrophagen (= Fresszellen des Immunsystems, Funktion: Infektabwehr, "Müllabfuhr" von alten Zellen z.B. roten Blutkörperchen, "Recyclingvorbereitung" von Eisen für neue rote Blutkörperchen) Ausführlicher zu Makrophagen und Eisen habe ich heute hier gepostet)
Weil bei erblicher Hämochromatose zu wenig Eisenhemmstoff Hepcidin gebildet wird, bekommt man zu viel Eisen intus.
Weil die erbliche Eisenstörung in der Leber liegt -Hepcidin wird in der Leber gebildet und das dauerhaft zu wenig- ist erbliche Hämochromatose eine erbliche Lebererkrankung. (Sie darf mit Fug und Recht sogar von höchstwissenschaftlicher Seite als Lebererkrankung bezeichnet werden, ohne dass sich andere von Eisenüberladung betroffene Organe diskriminiert fühlen. :wink: )
Ein Mangel an Hepcidin dürfte nach Stand der Forschung wohl DER Grund sein für fast alle Formen der erblichen Hämochromatose und auch für Anämien mit (nicht transfusionsbedingter) Eisenüberladung.

Mehr zur Funktion von Hepcidin
Hepcidin bindet z. B. in Schleimhautzellen des Dünndarms und in Makrophagen an Ferroportin, ein Eiweiss, welches normalerweise das Eisen vom Zellinneren heraus aus der Zelle transportiert.Wikipedia erklärt zu Hepcidin weiter:
Zitat: "Ist Hepcidin an Ferroportin gebunden, können diese Zellen kein Eisen mehr exportieren und im Blut an das Transportprotein Transferrin abgeben. Dünndarmmucosazellen [=Schleimhautzellen des Dünndarms, Anm Lia] können erst in den letzten zwei Tagen, bevor sie in den Darm abgestoßen werden, ihr aufgenommenes Eisen über das Ferroportin wieder exportieren; wenn viel Ferroportin durch Hepcidin inaktiviert wird, geht das in diese Zellen aufgenommene Eisen mit der Zellabschilferung wieder über den Stuhl verloren. So regelt Hepcidin die Eisenaufnahme im Darm herunter." Quelle:wikipedia
Hepcidin spielt auch eine Hauptrolle beim gestörten Eisenstoffwechsel im Rahmen von chronischen Entzündungen. Hepcidin wird bei Entzündungen heraufgeregelt. Damit ist die Eisenaufnahme aus den Schleimhautzellen des Dünndarms und die Freisetzung von Eisen aus den Makrophagen gehemmt. Weil nicht genug Eisen aufgenommen wird und nicht genug Eisen aus den Makrophagen freigesetzt wird, welches aber für die Blutneubildung benötigt wird, kann es bei chronischen Entzündungen zu entzündungsbedingter Anämie kommen.
Hepcidin ist niedrig
- erblich bedingt: bei erblichen Hämochromatosen
- wenn die Blutbildung ankurbelt werden muss, indem die Eisenaufnahme im Körper erhöht wird: bei Anämie oder bei Mangelversorgung des Körpers mit Sauerstoff.
Hepcidin ist hoch
- wenn die Eisenaufnahme im Körper gehemmt werden soll: bei hohem Speichereisen bei den "unmutierten" Menschen, deren Hepcidinproduktion normal ist, deren Eisenaufnahme also nicht genetisch bedingt ungebremst abläuft.
- wenn Eisenverfügbarkeit im Körper gehemmt werden soll (indem Eisen in die Eisenspeicher verlagert wird, wo es für eisenliebende Erreger nicht erreichbar ist): als Akut-Phase Protein bei entzündlichen Prozessen und Tumorerkrankungen


Therapie von erblicher Hämochromatose: Aderlass, Eisenchelatbildner und ... die Hepcidinpille?
Um erbliche Hämochromatose an der Wurzel zu packen, müsste man die zugrundeliegende Genveränderung auf normal schalten, ein defektes Gen durch ein gesundes Gen ersetzen. So eine Gentherapie ist jedoch zukunftsfern.
Überschüssiges Speichereisen kann durch Aderlässe auf Normalmaß reduziert oder präventiv verhindert werden. Dennoch bleiben aufgrund der veränderten Hepcidinfunktion diverse Parameter im komplizierten Eisenstoffwechsel im Vergleich zur Normalbevölkerung verändert.
Eisenchelatbildner (=eisenbindende Medikamente) kommen bei Eisenüberladung zum Einsatz, wenn Aderlässe nicht möglich sind, z.B. bei Anämie mit transfusionsbedingter Eisenüberladung. Sie können gravierende Nebenwirkungen haben und daher hat der im Vergleich zu diesen Medikamenten sehr nebenwirkungsarme Aderlass immer den Vorzug.
Derzeit arbeiten Forscher an der Entwicklung von Hepcidin-Agonisten, Stoffen, welche die Funktion von Hepcidin in ankurbelnder Weise als eine Art synthetisches Hepcidin übernehmen könnten. Mögliche Anwendungsgebiete wären erbliche Hämochromatose und erbliche nicht transfusionsbedingte Anämien.
Forschungen am Mausmodell haben bereits Erfolge gezeigt. Artikel (engl.) . Nun soll an Menschen ein Agonist für Hepcidin getestet werden, der bei chronischer Eisenüberladung z.B. bei bestimmten Anämien angewendet werden soll, wenn eine Behandlung mit Eisenchelator-Medikamenten nicht möglich ist oder abgelehnt wird. Ganz frisch,vom 14.02. 2014 dieser Artikel (engl.)
Ob überhaupt und wann tatsächlich ein Medikament auf den Markt kommt? Es wird noch Zeit vergehen. Fraglich dürfte m.E. auch sein, ob die Hepcidinpille so nebenwirkungsarm sein wird, dass sie den Nutzen von Aderlässen deutlich überwiegt.
Auch an dem Gegenteil arbeitet die Forschung: an Hepcidin-Antagonisten, "Herunterreglern", die bei Hepcidin-Überschuss Anwendung finden könnten z.B. bei der Anämie chronischer Erkrankung. Artikel (dt.)

Liebe Grüße Lia
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