Hallo Kirschbaum
erstmal gut, dass Du jetzt endlich gesicherte Diagnose hast und entsprechende, auf Dich zugeschnittene Therapie für die Polycythemia vera (PV) bekommst. Neben Aderlasstherapie (für Hämochromatose und PV) nun zytoreduktive Therapie.(=Therapie, welche die Zahl bestimmter Zellarten reduziert.)
Forscher haben jüngst in einer breit angelegten Untersuchung festgestellt, dass homozygote HFE-Mutationen bei Patienten mit PV überrepräsentiert sind. Die Anzahl der Personen mit einer PV-Diagnose bei C282Y-Homozygoten Personen war mehr als 10-fach erhöht.(!)
Zudem hat sich herausgestellt, dass nicht nur bei der Hämochromatose, sondern auch bei der PV das HFE-Gen und Hepcidin bedeutsam sind. Der erythroide Typ der Polycythemia vera hängt einer neuen Untersuchung zufolge direkt mit der Hepcidin-Expression zusammen. Eine Hochregulierung von Hepcidin mildert die erythroide Erkrankung, während eine Hepcidin-Reduktion sie verschlechtert. Der Hepcidin-Spiegel bestimmt den Schweregrad des erythroiden Phänotyps (Phänotyp=Erscheinungsbild) bei PV und kann durch Manipulation verändert werden, so die Studie. Wenn ich es richtig verstehe, sollte man bei der erythroiden Phänotyp der PV schauen, dass das Hepcidin nicht zu sehr absinkt. Bei Hämochromatose besteht ungünstigerweise erblicher Hepcidinmangel. Bei Dir sind nicht nur Erythrozyten erhöht, sondern auch Leukozyten und Thrombozyten.
(Bin in PV jetzt nicht näher eingelesen, hole ich im Herbst nach, wenn ich wieder mehr im Forum sein kann) Wenn ich es recht verstehe, kann das eigentlich Gute beim Aderlass, nämlich die Reduktion überschüssigen Eisens (HH) und weniger Verfügbarkeit von Eisen zur Bildung roter Blutkörperchen (PV)gegen zu hohe Blutzähigkeit erstmal bei
beiden Erkrankungen kurzzeitig nach dem Aderlass ungünstig wirken, sowohl bei Hämochromatose als auch bei der PV: Direkt nach Aderlass sinkt kurzfristig der Hepcidinspiegel und die Eisenaufnahme wird hochgefahren, auch bei Hämochromatose-Patienten.
Vielleicht ist es das, was Deine Ärztin meint. (Frag sie am besten mal.) Eisenaufnahme erhöht die Hepcidin-Produktion. Höherer Hepcidinspiegel wäre gut für Deine PV und für die Hämochromatose. Aber! Bei Hämochromatose besteht grundsätzlich und dauerhaft Hepcidinmangel durch mangelnde Bildung von Hepcidin. Hepcidin kann also von sich aus nicht einfach viel höher ausfallen. Denn es wird schlicht nicht genügend gebildet. Man kann manipulieren, in dem man an Faktoren schraubt, die ebenfalls zu niedrigem Hepcidin beitragen, aber körperintern einfach mal so dauerhaft Hepcidin hochfahren, klappt bei Hämochromatose m.W. eben genau nicht.
Hepcidin sorgt für die Hemmung der Eisenaufnahme. Bildlich gesprochen: Ist genügend Eisen im Dünndarm aufgenommen, wird der in der Leber gebildete Eisenaufnahme-Hemmstoff Hepcidin vermehrt ausgeschüttet und sorgt für die Schließung der Eisenpforten im Dünndarm. Die Eisenpforten bei Hämochromatose bleiben ungehemmt weit offen, denn es gibt zu wenig Hepcidin. Der Körper "denkt" irrtümlich, er hätte dauernd und immer Eisenmangel. Die Pforten bleiben sozusagen stets dauerhaft offen, auch bei PV und nicht wie bei eisennormalen Personen, bei denen die Hepcidinausschüttung normal funktioniert. Nur bei den PV-lern ohne Hämochromatose erhöht sich die Hepcidinproduktion bei Eisenaufnahme ausreichend, so meine Sicht.
Daher bietet eine orale Eiseneinnahme aus meinem (aktuell unzureichenden!) Verständnis der Situation bei Dir nur kurzzeitige, minimale bis gar keine Effekte auf das Hepcidin. Man sollte Dich nicht mit einem "normalen" PV-ler vergleichen, denn Dein Eisenstoffwechsel funktioniert etwas anders.
Würde an Deiner Stelle die Transferrinsättigung anschauen, ob die sehr hoch ist mit weiter steigender Tendenz, oder niedrig bzw, absinkt. (Ansteigend hoch könnte sie bei sinkendem niedrigen Ferritin einen "iron avid"-status anzeigen, bei dem HH-Patienten normalerweise mit Aderlass pausieren sollten.) Wie sieht Deine Transferrinsättigung aktuell aus?
Angesichts des aktuell niedrigen Ferritins und aufgrund der zytoreduktiven Therapie vermute ich, dass es gut ist, bei Deinem aktuell niedrigem Ferritin erstmal mit Aderlass zu warten und nicht zu aggressiv mit Aderlässen vorzugehen, sondern Ferritin erstmal etwas höher werden zu lassen, aber mit sehr wachsamem Blick auf Hämatokrit.
Jüngste Berichte deuten darauf hin, dass "die Behandlung von Patienten mit PV mit Hepcidin-Analoga oder die pharmazeutische Hochregulierung von Hepcidin in präklinischen Modellen der PV den Krankheitsphänotyp verbessern kann." Quelle Iron homeostasis governs erythroid phenotype in polycythemia vera (siehe unten)
Für künftige Studienteilnahme o.ä. bräuchtest Du aber Spezialisten. Wäre sowieso mein Rat: Würde mich in so einer besonderen Situation beider Erkrankungen, die zugleich mit HFE und Hepcdin in Verbindung stehen, an Forschungseinrichtungen wenden, die zu Zusammenhängen HFE, Hepcidin/Hämochromatose/PV forschen und direkt von Ihnen die neuesten Erkenntnisse zu den Zusammenhängen und neuen Therapieoptionen erfahren, die Du zuhause zusammen mit Deiner Ärztin erörtern kannst.
Zumal bei Dir evtl. nochwas auf das Hepcidin wirkt: das Testogel, also die Dosierung. Hat Einer (also ganz ohne PV) eine Testosteron-bedingte Polyglobulie, so ist die Ursache vermutlich eine gehemmte Ausschüttung von Hepcidin, was wiederum zu erhöhter Eisenaufnahme führt. Niedriges Hepcidin ist nicht gut für die erythroide Form der PV und zudem erhöht sich dabei auch die EPO-Ausschüttung, was auch nicht für Dich bei PV gewollt ist und auch wegen Deiner Vorgeschichte. Hatte dazu ja schon gepostet. Die Einstellung würde ich mit dem Andrologen auf die Zusammenhänge niedriges Hepcidin durch (z.B. je nach Dosierung) Testogel und Hämochromatose als ungünstige Faktoren für die PV.
Bei Dir wirken also auf die erhöhten Erys der PV möglicherweise sowohl die Hämochromatose als auch vielleicht das Testogel ungünstig ein. Nimms mit Galgenhumor. Evtl hat es einen Vorteil: du wirst zum spannenden Fall und Ärzte haben besonderes Interesse an guter Therapie=gut für Dich.) Jedem der Ärzte solltest Du diese Faktoren mitteilen, damit man da gemeinsam hinschaut, wie man die Hepcidinspiegel bei Dir möglichst dauerhaft in für die PV günstige, höhere Level bekommt (= Hepcidin also nicht zusätzlich absenkt zu dem ohnehin vorhandenen Hepcidinmangel durch die C282Y Homozygotie). Du wärest vielleicht so ein Fall, wo die Zuführung von Hepcidin z.B. im Rahmen von Studien o.ä. hilfreich sein könnte. Ich würde mich an Forschungsstellen wenden, die zu Hepcidin, Hämochromatose und PV forschen.
Hier ist die neueste mir bekannte Arbeit bzw obige Studie. Kannst Du englisch? Falls nein, gib es Deiner Ärztin. (Hab Dir die wichtigsten Inhalte oben gepostet.)
Iron homeostasis governs erythroid phenotype in polycythemia vera Bennett et al., 29. Juni 2023
https://ashpublications.org/blood/artic ... enotype-in
und Kommentar:
https://ashpublications.org/blood/artic ... hemia-vera
Du bist für Experten vermutlich "ein spannender Fall" wegen der verschiedenen Faktoren, die auf HFE und Hepcidin bei Dir einwirken. Wenn Du (ggfls Deine Ärztin) Experten freundlich anschreibst, vermute ich, dass Du eine wohlwollende Antwort bekommst.Oder eben keine Antwort, mehr kann nicht passieren.

Ich werde Dir evtl. noch Mailadressen nennen.
Auch könnte man überlegen, ob man hier im Forum ein Extra Unterforum aufmacht (für die Kombi: PV HFE-Mutationen), da es nun nicht nur mein Eindruck ist, sondern das Studienergebnis dieser großangelegten Studie tatsächlich eine deutliche Häufung der C282Y Homozygotie bei der seltenen PV zeigt und die PV-HH Kombi eine knifflige Angelegenheit ist. Austausch Betroffener untereinander wäre sehr hilfreich
Chelatherapie: Medikamente wie Desferrioxamin und Deferasirox gibt man nur bei sehr hohen Ferritinwerten. (Sie funktionieren bei geringgradiger Ferritinerhöhung oder niedrigem Ferritin nicht effektiv (oder zuverlässig, habe ich gerade nicht im Kopf.)
Erythrozyten-Apherese: Entnimmt nur die Erys. Der Rest wird direkt dem Körper zurückgeführt. Bei Dir sind aber auch Thrombozyten und Leukozyten erhöht. Du hast ein sehr niedriges Ferritin und Du müsstest noch lange warten, bis eine Erythrozytapherese Dich nicht mehr in den akuten hochgradigeren Eisenmangel bringt, was auch bei PV zu verhindern ist. Die Apherese senkt sehr viel Ferritin auf einmal, allerdings auch jede Menge Erys, aber nix sonst. Man müsste das mit der zytoreduktiven Therapie bzgl Erys wohl sehr gut abstimmen, nicht dass man Anämie mit zu viel Gegenkompensation bekommt (Der Körper regelt gegen mit erhöhter Eisenaufnahme und besonders erhöhter Blutbildung) Das kann Dein Doc beurteilen. Falls du irgendwann doch wieder Apherese machst und ggfls wieder Epo angesprochen wird, unbedingt auf die PV(!!!) hinweisen und Deine Vorgeschichte(!).
Alles, was ich hier von mir gebe, sind meine Gedanken und keine ärztlichen Ratschläge. Alles vorab immer mit dem Arzt besprechen. Und auch am besten immer Deinen Ärzten mitteilen, was andere Ärzte planen. Damit sie in Kenntnis des Gesamtbildes gute Entscheidungen treffen können.
Liebe Grüße
Lia