Hallo,
ein Arzt des DRK Hessen/Ba-Wü rief mich am Freitag zurück.
Zeit für ein ausführliches Telefongespräch war heute.
Er erinnerte sich an ein vorangegangenes Telefonat mit mir zu diesem Thema, was mich freute.
Ein Teil des Gesprächs war vertraulich, ich gebe den für das Hämochromatose-Forum bestimmten öffentlichen Teil der Aussage des Arztes und meinen persönlichen Eindruck wieder. Gerne beantworte ich Fragen dazu per PN. Manch mögliche Antwort auf mögliche offene Fragestellungen ergibt sich evtl schon aus dem Abschnitt "mein persönlicher Eindruck/Meinung".
Aussage des Arztes:
Bezüglich der Zulassung von Menschen mit genetischer Disposition für Hämochromatose sind die internen Richtlinien des DRK Hessen/Ba-Wü wörtlich folgendermaßen. Diese gelten nur regional für das Vorgehen des DRK Hessen/Ba-Wü:
"Spender, bei denen die Anlage zu Hämochromatose vorliegt, ohne erkrankt zu sein, können zur Spende zugelassen werden, sofern keine Behandlungsbedürftigkeit festgestellt wurde."
Dieses Statement läßt sich breit auslegen.
Sie läßt in der Einzellfallentscheidung des jeweiligen Arztes mehr Spielraum zu als eine festzementierte Richtlinie. Innerhalb dieser Grauzone lassen sich Entscheidungen pro oder kontra Zulassung des einzelnen Spendewilligen zur
Blutspende treffen.
Wichtig für die Zulassung sei immer auch, welchen Eindruck der Arzt von der jeweiligen blutspendewilligen Person habe.
Symptomfreie Menschen mit genetischer Disposition für Hämochromatose, welche per Zufallsbefund bei Routineuntersuchung oder per Verwandtenscreening gefunden wurden, können zugelassen werden.
Es dürfe jedoch -wie bei Nichthämos- nur 4 mal (Frauen) bzw 6 mal (Männer) im Jahr gespendet werden.
Häufigeres Spenden wäre als therapeutischer Anreiz anzusehen und es darf kein solcher Therapieanreiz für Hämochromatosebetroffene bei der
Blutspende bestehen, da die Entscheidung zur
Blutspende nicht durch eine Therapie, sondern durch persönlichen freiwilligen Wunsch, anderen Menschen zu helfen, motiviert sein muß.
In Deutschland profitieren die Blutspendeempfänger von den strengen Kriterien bei der Zulassung von Spendern.
Dies soll so bleiben. Vielleicht wird sich die
Blutspende-Situation für die Menschen mit genetischer Disposition für Hämochromatose in Zukunft noch weiter modifizieren. Der Arzt stimmt mit mir überein, daß heutzutage viele Menschen vor Erreichen klinischer Symptomatik von ihrer genetischen Disposition erfahren und nicht als krank zu bezeichnen sind. Das Potential solcher blutspendetauglicher Menschen mit genetischer Anlage für Hämochromatose wird beim DRK gesehen.
Soweit die Sicht des Arztes des DRK Hessen/Ba-Wü.
Beim Themenpunkt "Freiwilligkeit" fand mein Einwand Beachtung, daß wohl zumindest bei den Menschen, die schon Blutspender waren, bevor ihre genetische Besonderheit festgestellt wurde, ihre altruistische Motivation weiter angenommen werden kann, Mitmenschen mit ihrem Blut helfen zu wollen. Weiteres Argument für die Ermittlung einer Freiwilligkeit mit altruistischer Motivation könnte aus meiner Sicht sein, daß man bei nichtaltruistischer Motivation die dünne Nadel beim therapeutischen Blutwegwerfaderlaß der dicken Blutspendenadel wahrscheinlich vorzieht.
Der Arzt bemerkte, ich würde mir aus seiner Sicht zu sehr klare Richtlinien wünschen, die Grauzone aber ließe doch Spielräume zu. Ich entgegnete, mehr Bemühung um Licht und Klarheit (etwa bei der Definition usw von "Hämochromatose") täte aus meiner Sicht not. Von solcher Klarheit in Erkenntnis und Definition würden dann auch Fragestellungen beim Blutspendethema profitieren, deren adäquate Antworten von klaren Fragestellungen abhängen.
Meine Sicht über das Vorgehen des DRK, welche ich im Arztgespräch mitteilte:
"Spender, bei denen die Anlage zu Hämochromatose vorliegt, ohne erkrankt zu sein, können zur Spende zugelassen werden, sofern keine Behandlungsbedürftigkeit festgestellt wurde."
-was ist unter "erkrankt" zu verstehen? Wann liegt Krankheit durch Hämochromatose-Anlage vor? In frühem Lebensalter einsetzende Gelenkzipperlein sind mit einer Leberzirrhose bezüglich Spendefähigkeit nicht in einen Topf zu werfen. Ist eine Hämosiderose ohne Organschaden, sind vermehrte Körpereisenreserven ohne Organerkrankung als "erkrankt" anzusehen?
-wann liegt Behandlungsbedürftigkeit vor? Jeder Aderlaß, der zur Eisenbalancierung beiträgt, ist ein therapeutischer Aderlaß, eine "Behandlung". Ob Erhaltungsaderlässe oder Depletionsaderlässe der intensiven Phase, sie sind als therapeutische Aderlässe anzusehen, da stimmt auch der Arzt mit mir überein.
Ich habe auf die Schnelle folgende Definition zum Terminus "Behandlungsbedürftigkeit" gefunden, welche bei den Kassen gelten:
Zitat
"Eine Behandlungsbedürftigkeit liegt dann vor, wenn medizinisch eine Abweichung der Gesundheit / des Wohlbefindens vorliegt. Die Sozialgerichte definierten Krankheit mit einem „regelwidrigen Geistes- oder Körperzustand, der zu einer Behandlungsbedürftigkeit führt“. Diese Definition gilt in der PKV als auch in der GKV."
Quelle Somit ist jede Kostenübernahme der Kasse bei einem Aderlaß Zeichen der Behandlungbedürftigkeit und schlösse damit per definitionem jede Blutspendefähigkeit aus.
Ich bin daher der Ansicht, hier muß auch aus juristischen Erwägungen dringend nachgearbeitet werden, denn nach solcher Definition dürfte nach dieser Regelung des DRK Hessen/ Ba-Wü kein Mensch mit genetischer Anlage zu Hämochromatose, der einen Aderlaß auf Kasse bekäme, Blutspenden.
Mir ist das Vorgehen des DRK Hessen/Ba-Wü zu nebelverhangen, auch wenn ich verstehe, daß eine "Grauzone" Möglichkeiten bietet. Aber die gilt es zu nutzen. Die Auslegungsvielfalt u.a. je nach Kenntnisstand des jeweiligen Arztes vor Ort bei der Einzelfalleintscheidung führt zu weiterer Uneinheitlichkeit, welche zwischen den Regionalverbänden des DRK eh schon bei diesem Thema besteht/bestand. Uneinheitliche Regelungen stiften Verwirrung. Vor allem bei den spendewilligen Menschen mit genetischer Disposition für Hämochromatose.
Derzeit mangelt es an Definition und Klassifizierung von "Hämochromatose", Differenzierung von "klinischer Symptomatik" bzgl Blutspendetauglichkeit und Evidenz für den "idealen Ferritinbereich" sowohl für für Allgemeinbevölkerung als auch für Hämos.
Meine Bedenken bezüglich einer Richtlinie, welche eine "Kaugummiauslegung" zuläßt:
Sie erfordert Ärzte, welche sie mit genauer Kenntnis über Hämochromatosethemen optimal nutzen können. Genaue Kenntnis des Wissens/Nichtwissensstandes über Hämochromatose ist heute immer noch eher selten. Bei solcher Grauzone würde eher Schwarz (Schwarz=wertvolles Blut in den Gulli, Verwirrung sowie Verschwendung von Geldern) als von allen gewünschtes Weiß (Weiß= möglichst viel sicheres Spenderblut+ schnelles und schlankes Handling von blutspendewilligen Hämos, effektive Nutzung von Geldern) herauskommen, so meine Befürchtung. Vielleicht wollte man mit dieser Grautonregelung den noch vielen offenen Fragen beim Thema Hämochromatose Rechnung tragen. Ich bin aber der Ansicht, daß man gerade da Klarheit besonders braucht.
Und das DRK sollte meines Erachtens den Punkt der Freiwilligkeit ausreichend gründlich diskutieren angesichts der in Deutschland möglichen Alternativen für therapeutische Aderlässe ohne
Blutspende (anders als bei manchen Betroffenen in den USA, die mangels Versicherung Blutspenden als einzige Möglichkeit der Therapie nutzen) z.B. beim Hausarzt oder auch den Blutspendediensten.
Die praktische Umsetzung der Richtlinien des DRK Hessen /Ba-Wü für nicht per Zufallsbefund oder Verwandtenscreening entdeckte Hämos wird wohl so aussehen, daß ein gesundheitlich blutspendetauglicher Mensch mit erhöhten Eisenreserven, welcher angibt, in der Depletionsphase, der Phase der intensiven Aderlässe zu sein, also mehr als 4/6 mal pro Jahr zur Ader gelassen werden muß, nicht zugelassen würde. Wie es ist, wenn er das nicht angibt, weiß ich nicht. Wer sicher sein will, der frage am besten nochmal nach.
Ich gehe davon aus, daß ein Mensch mit genetischer Disposition für Hämochromatose, welcher die Depletionsphase hinter sich hat und maximal 4/6 Erhaltungsaderlässe als
Blutspende machen möchte, zugelassen werden kann.
Es gibt keinen medizinischen Grund, gesundheitlich blutspendefähige Menschen mit genetischer Anlage zu Hämochromatose in der Depletionsphase auszuschließen- auch diese Richtlinien des DRK Hessen /Ba-Wü besagen dies ja nicht:
"Spender, bei denen die Anlage zu Hämochromatose vorliegt ohne erkrankt zu sein, können zur Spende zugelassen werden, sofern keine Behandlungsbedürftigkeit festgestellt wurde.
Denkbares Prozedere- Liegt im streng medizinischen Sinne KEINE Hämochromatose vor (Definition Hämochromatose= Hämosiderose plus Organschaden) sondern eine Hämosiderose, vermehrte Körpereisenreserven mit erhöhtem Serumferritin sprich ist Ferritin <1000 plus keine klinische Symptomatik, liegen also keine gesundheitlichen Gründe gegen die Blutspendetauglichkeit vor, so könnte man solche Menschen mit genetischer Anlage zu Hämochromatose auch in der Depletionsphase zulassen.
Und zwar idealerweise als "Turbospender" in der EDV markiert mit der Sonderregelung deutlich kürzerer Spendeintervalle für diese besonders geeignete Spendergruppe.
Der therapeutische Aderlaß, obwohl als
Blutspende genutzt, würde dabei immer von Seiten des Hämoarztes verordnet sowie geplant und nicht vom Blutspendedienst , dieser würde nur ausführendes und blutkonservenbeschenktes Organ sein.
Dieses Szenario erforderte natürlich neue Regelungen. Derzeit jedoch steht diese Personengruppe wohl nicht zur Debatte. Bei steigendem Druck durch extremen Blutspendenotstand, wie er laut Meinung des Arztes in etwa 15 Jahren eintreffen könnte, wäre eine Anpassung der Regelungen eher denkbar.
Soweit das Telefonat.
Alle Angaben ohne Gewähr. Bitte jeweils nochmal erkundigen!
Liebe Grüße
Lia