Angehöriger

In diesen älteren Diskussionen der Vorjahre könnt Ihr lesen und auch weiter aktiv schreiben. Beachtet, dass sich der Stand der Forschung seitdem geändert haben kann. Es gibt inzwischen neue Empfehlungen und Leitlinien zur Diagnostik und Therapie.
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InquisitorX
Frischling
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Registriert: Fr 1. Aug 2014, 16:07

Angehöriger

Beitrag von InquisitorX »

Hallo Leute!
Ich hab mich hier im Forum angemeldet um mir Rat von euch zu holen. Also: ein guter Freund von mir, eigentlich mein bester, hat jetzt mit 17 erfahren das er an hämochromatose typ 2 leidet bzw. juveliner hämochromatose (schlagt mich wenn ich irgendetwas schreibe was keinen Sinn ergibt, ich bin wie gesagt absolut neu auf dem Gebiet).
Nun er hat bereits eine absolut vernarbte Leber, und die Ärzte geben ihm 10 Jahre, er wird also nicht mal dreißig. Er ist absolut fertig und ich bin sehr ratlos... Z.B Kann ich ihn zum Eis essen einladen? Oder zum Pasta essen?
Er selbst scheint relativ wenig Ahnung zu haben. Ich mache mir große Sorgen, da er ja eine Diät halten muss und Aderlässe haben sollte, und jetzt nach Spanien abhaut und couchsurfen will. Ich mein: Wie soll man so eine eisenarme Diät aufrech erhalten. Generell nimmt er die ganze Sache nicht so ernst, 10 jahre scheinen ja auch so weit weg...
Seine Gelenke sind auch schon angegriffen, er will aber weiter Leistungssport machen. Er reagiert auch zunehmend genervt von mir wesshalb ich ihn in Ruhe lasse, aber wenn er so weiter macht hat er nicht mal mehr die 10 Jahre. Ich hab einbischen mehr Ahnung von Medizin (eigentlich nur Bio Lk wissen) als er bzw. seine Eltern wesshalb sie mir eigentlich ziemlich viel erzählen von der Diagnose. So wurden Chelatbildner von den Ärzten nicht in Erwägung gezogen (jedenfalls wurde mir das erzählt) Vieleicht sind die ja noch ne Hoffnung sein Leben zu verlängern? Einen Psychologen hat er rundweg abgelehnt, und ich komme (nachdem er sich Anfangs geöffnet hat) auch nicht mehr so richtig durch zu ihm, wesshalb wir nur über Belanglosigkeiten reden momentan. Ich lasse ihm Zeit, aber die ist nun wirklich das letzte was er hat.

Danke für alle Antworten!
Mfg
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Lia
Alter Hase
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Beiträge: 5830
Registriert: Mo 15. Mär 2004, 16:08

Re: Angehöriger

Beitrag von Lia »

Hallo InquisitorX,

herzlich willkommen im Forum :winken

Finde ich ganz klasse, dass Du Deinem Freund helfen willst. :daumen
Und finde toll und wichtig, dass Du Dir als Freund und wichtige Bezugsperson nicht nur mal so eben oberflächlich, sondern richtige Gedanken machst.
Hut ab! :hallo

Schreibe Dir -wahrscheinlich schaffe ich das heute noch- einen längeren Beitrag, wo ich auf Deine Fragen eingehe.
Und hab auch ein paar Ideen... :)

Liebe Grüße

Lia
PS Für die Mitlesenden paar Infos zu Juveniler Hämochromatose Typ 2
Diese schwere Form der Hämochromatose, die Dein Freund hat, ist weltweit sehr selten. Sie ist ebenfalls erblich wie die übliche häufige Form der Hämochromatose, aber es liegen andere Mutationen vor und sie verläuft schwerer. Die jungen Betroffenen sind schon im Alter von 20-30 sehr eisenüberladen mit Ferritin >1000-7000 und oft bereits sehr krank. Anders als bei der häufigen HFE-Hämochromatose, die fast alle in diesem Forum haben, sieht bei dieser seltenen juvenilen Form bereits in diesem jungen Alter das Vollbild der Erkrankung mit schweren oder irreversiblen Organschäden. Es können (müsen nicht) vorhanden sein: Leberzirrhose, massive Herzprobleme,Störungen diverser Hormonfunktionen z.B. der Geschlechtshormone, Diabetes und Hämochromatose-Arthropathie.
Therapie ist wie bei der Erwachsenen-Hämochromatose Entfernung der überschüssigen Eisenspeicher: Aderlasstherapie, ( je nach gesundheitlichem Zustand ggfls Eisenchelatoren,Epo ...). Zudem ebenfalls wie bei den Erwachsenen mit Vollbild Hämochromatose die Behandlung der Folgeerkrankungen der Organbeteiligung, bei der jugendlichen Form neben Leber besonders auch Herz und Hormondrüsen.
InquisitorX
Frischling
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Registriert: Fr 1. Aug 2014, 16:07

Re: Angehöriger

Beitrag von InquisitorX »

Vielen lieben Dank für die Antwort
Ich sollte vieleicht noch erwähnen dass er für Rückfragen gerade nicht erreichbar ist, er ist ja in Spanien, bis er mir davon erzählt hat kannte ich das Wort "trampen" garnicht. :greenkugel . Danke für den Info-Text! Dann ist der ganze Körper ja im A.... . Obwohl er so ein Sportfanatiker ist.
Viel Glück euch allen, ich hatte ja garkeine Ahnung wie viel Ärger Eisen machen kann.

Mfg
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Lia
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Registriert: Mo 15. Mär 2004, 16:08

Re: Angehöriger

Beitrag von Lia »

Hallo Inquisitor,

ich weiss nicht, welche Schäden bei Deinem Freund konkret vorliegen. Da kann man von hier aus nur spekulieren.
Auch Du weisst natürlich nur, was Dein Freund Dir gesagt hat. Daher spreche ich allgemein:

Klar ist, die Erkrankung ist potentiell schwer, allerdings abhängig vom Grad der Eisenüberladung zum Diagnosezeitpunkt.
Ob Dein Freund tatsächlich so schwer betroffen ist, können wir von hier aus nicht sagen. Wenn die Leber aber vernarbt ist und die Ärzte eine solche Prognose tatsächlich ausgesprochen haben, ist die Erkrankung vermutlich doch bereits schwer.
(Ich habe immer etwas Probleme mit solchen Prognosen, sie helfen einem, Zeit einzuschätzen und wertzuschätzen -wie viele Leute leben so einfach dumpf dahin-, aber so eine Fristsetzung kann einen auch total blockieren und solche Fristen sind nicht sicher vorherzusagen, es gibt immer Ausnahmen nach vorne und hinten.)
Sportfanatiker, Leistungssportler- Positiv dürfte wohl sein, wenn man trotz schwerwiegender chronischer Erkrankung bislang sportlich sehr aktiv sein konnte.

Für Deinen Freund ist die Diagnose wohl noch frisch, da Du schreibst, er hat jetzt erfahren, dass er diese Erkrankung hat.
Als frisch diagnostizierter Betroffener einer schweren chronischen Erkrankung ist man erstmal mitten in einer Schockphase. Es braucht Zeit, mit der Situation klarzukommen. Das heißt nicht, dass man die Aderlasstherapie schleifen lassen soll, im Gegenteil, aber die menschliche Psyche braucht Zeit, sowas zu verarbeiten. Es gibt verschiedene Phasen der Krankheitsbewältigung. Hier mal ein Link dazu: https://www.sozialversicherung.at/porta ... 007.677810
Auch als Angehöriger ist es nicht einfach. Der Betroffene steht sowieso derzeit unter Druck, alles stürzt ein. Verspürt er noch mehr Druck, auch wenn man es als Angehöriger noch so gut meint, führt das eventuell zu noch mehr Abblocken.

Die eisenarme Ernährung spielt übrigens eine recht untergeordnete Rolle. Ein einziger Aderlass entzieht so viel Eisen wie ein ganzes Jahr eisenarme Ernährung. Viel wichtiger ist die Aderlasstherapie und bei bereits angegriffener Leber auch Verzicht auf leberschädigende Substanzen Alkohol/Drogen etc.
Chelatbildner sind nicht so effektiv wie die Aderlässe. Die Aderlasstherapie ist zudem viel besser verträglich. Chelatbildner wird der Arzt, wenn überhaupt, nur nach sorgfältiger Risiko-Nutzenabwägung im Einzelfall erwägen.
Mit etwas Vorlauf hätte man vermutlich organisieren können, dass man bei längerem Auslandsaufenthalt auch im Ausland 1 oder 2 mal pro Woche kurz zum Aderlass geht und ansonsten dort die Couch surft. Ob das zu organisieren geht bzw mit der Kostenübernahme ist, wenn man bereits im Ausland ist, weiss ich nicht, das könnte man mit den entsprechenden Stellen bereden. Da kann man auch mal seinen behandelnden Arzt fragen -z.B. Mail schreiben.... Bei nur zwei Wochen Spanien wird es wohl keinen gesundheitlichen Nachteil geben, wenn man keinen Aderlass macht und sich nach der Diagnose einfach mal total "wegbeamt von dem Mist in Deutschland", aber bei längerem Aufenthalt sind die Aderlässe wichtig.

Wenn man ne Zeitlang nur über Belanglosigkeiten redet, ist das vielleicht gar nicht so schlecht. Vielleicht ist es das, was im Moment dran ist. Man soll ja selbst entscheiden können, wann man sich seinen Vertrauten mit den schweren Themen rund um die Erkrankung öffnet, die einen ohnehin schon Tag und Nacht verfolgen und mit denen man sich auch in Zukunft rumschlagen muss. Wenn es mir schlecht geht, ich in einer Schocksituation bin- und das gabs bei mir auch schon- sind diejenigen Freunde Gold wert, bei denen ich sein kann, wie es mir gerade ist und sein kann, wie ich es im Moment für mich verkrafte, tief oder belanglos. Manchmal tut es zu weh, in die tiefe Materie zu gehen, in mancher Phase verkraftet man das nicht.
Wenn Dein Freund bei Dir jederzeit ein offenes Ohr hat (sowas hast du ihm sicher schon gesagt) und Ihr für einander da seid, ihm aber auch möglich ist, über völlig Oberflächliches zu reden, was ihm aktuell den Alltag erträglich werden laesst, wird es ihm vielleicht leichter möglich, sich doch zu öffnen und die nächste Stufe seiner Krankheitsbewältigung zu gehen und eben auch die eigentlich dringend notwendige Therapie zu machen. Manchmal hilft ein Anstupsen, aber so wie es aussieht, reagiert da Dein Freund zur Zeit eher allergisch.

Was kann der Betroffene tun, damit die Schockstarre aufhört?
-sich entscheiden, den Mund aufzumachen bzw. in die Tastatur zu hauen : Austausch mit Angehörigen (z.B. mit dem besten Freund :) ) und Austausch mit Mitbetroffenen z.B: im Forum und Austausch suchen international mit anderen gleichaltrigen Mitbetroffenen speziell von Hämochromatose Typ2 z.B. aus anderen Ländern. Er hat ja mehrere Sprachen gelernt, dann kann er da vielleicht sogar was anwenden- Vorteil: neue positive Erfahrungen)
-Schauen, "was kann ich", "was macht mir Lebensqualität und Spaß" anstatt "was kann ich nicht mehr". Psychologische Beratung ist wichtig, damit sich negative Muster gar nicht erst zu sehr festsetzen können, das spart jede Menge Energie ein, die man dann zum Leben hat. Wer sich psychologisch beraten lässt, ist nicht durchgeknallt oder Schwächling, sondern das ist im Jahr 2014 völlig normal für jeden psychisch Gesunden, der sich plötzlich in ner Ausnahmesituation befindet. Und Dein Freund ist in einer Ausnahmesituation wie jeder andere frisch diagnostizierte Jugendliche mit chronsicher Erkrankung. (Auch in eine Ausnahmesituation gekommen waren ja die Leute, die bei der Loveparade in Duisburg dabei waren und sich haben helfen lassen. Die sind ja nicht durchgeknallt gewesen, sondern die haben etwas erlebt, womit sie nicht gerechnet haben und was ihr Leben radikal dauerhaft verändert hat. Bei sowas ist es einfach richtig und wichtig, die Fachleute mal in Anspruch zu nehmen, die dafür ausgebildet sind, einem wieder mehr Spaß ins Leben zu bringen. Das ist deren Job und die sollen was tun für ihr Geld... :wink: ) Auch die Eltern müssen mit einer völlig neuen (Ausnahme-)Situation erstmal umgehen lernen, auch für sie wäre es gut, sich beraten zu lassen.
-selbst zum "Experte" für seine Erkrankung werden, gerade bei einer seltenen Erkrankung.

Wichtig ist, dass man sich als frisch diagnostizierter Betroffener von den Angehörigen nicht überfahren fühlt. So fühlt man sich ohnehin schon: Eine schwere chronische Krankheit überrollt einen zunächst wie einen Bulldozer, ohne dass man da ein Wort hat mitsprechen können, ob man so ne doofe Erkrankung überhaupt will- wer will schon eine schlimme Erkrankung haben. Im Alter von 17 will man gerade das nicht sein: fremdbestimmt.
Freundschaftliche Anteilnahme sollte meines Erachtens daher möglichst nicht "hinter Rücken" stattfinden, weil das als "gegen einen" wahrgenommen werden könnte, auch wenn das Blödsinn ist, aber das liegt an diesem momentanen Schockzustand. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo man mit einer Erkrankung auch neue Stärke gewinnt und sich an die neuen Gegebenheiten anpasst hat. Aber wie gesagt, das braucht etwas Zeit.

Meine praktischen Ideen:
-Wenn Dein Freund will: Austausch mit Betroffenen im Forum. (Allerdings haben hier alle derzeit Aktiven nur die übliche Hämochromatose und das auch zumeist in nur milder Ausprägung, aber dennoch kennen wir hier, worum es geht.)
-Mir fallen zudem zwei Leute ein, die besonders interessant sein könnten- Die könnte ich mal anfragen - sind nicht mehr oder nicht häufig im Forum. Näheres per PN.
Und Du und er, Ihr könnt mich auch mal anrufen, bin auch ok drauf :) Falls einer von Euch beiden das will, rücke ich meine Telefonnummer raus.
- Ich könnte mal Adressen zu internationalen Organisationen zusammensammeln, wo er auf deutsch/englisch anfragen kann, ob die da jemanden kennen, der auch Hämochromatose Typ2 hat. Vielleicht könnte daraus sowas wie ein privater internationaler Mailaustauch entstehen.
-die ärztliche Therapievorschläge wahrnehmen ggfls in Spanien Aderlasstherapie weitermachen, so möglich!- das ist meine große Bitte an den Unbekannten :wink: Ich könnte mal rumfragen, wie man so was am einfachsten hinkriegt.
Soweit für heute :winke
Falls er das hier mal lesen will, würde mich freuen...

Liebe Grüße

Lia
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Lia
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Registriert: Mo 15. Mär 2004, 16:08

Re: Angehöriger

Beitrag von Lia »

Hallo Inquisitor,
hast Du meinen Beitrag gelesen? Meldest Dich gar nicht...
Hatte in meinem Urlaub mir extra die Zeit genommen, gut nachzudenken und Dir ausführlich zu schreiben.
Fände eine Rückmeldung daher klasse.

Liebe Grüße

Lia
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Koch1
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Re: Angehöriger

Beitrag von Koch1 »

Hallo Lia,

hast Du ganz toll gemacht
:blumen :hallo :blumen :hallo :blumen :hallo :schmetterling
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