Ist Hämochromatose heilbar?

In diesen älteren Diskussionen der Vorjahre könnt Ihr lesen und auch weiter aktiv schreiben. Beachtet, dass sich der Stand der Forschung seitdem geändert haben kann. Es gibt inzwischen neue Empfehlungen und Leitlinien zur Diagnostik und Therapie.
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Lia
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Beitrag von Lia »

Hallo,


ein interessantes Thema und interessante Gedanken, die so hier noch nie im Forum aufgetaucht sind, Hanns. :) .
Möchte aus Zeitgründen :erschreck fürs erste auf den ersten Beitrag von Hanns schreiben. Die anderen Beiträge werde ich mir in einer Mußestunde durchlesen... :wink:

Ich versuche mal ungefähr, den heutigen Stand der Forschung zu Hämochromatose darzustellen.
Auf den ersten Blick ist "unsere" Hämochromatose Typ 1(= die häufigste Form der Hämochromatose die hier im Forum vertreten ist)
eine Erkrankung, die durch nur eine "Sorte" Genveränderung (C282Y oder H63D bzw in Kombi) hervorgerufen wird.
HH ist jedoch weniger eine monogene als eine multifaktorielle Erkrankung, stellt sich jetzt heraus. Und es wird geforscht. Ich bin guter Dinge, daß es irgendwann keine Hämochromatose-Erkrankungen mehr geben wird. Entweder wird Gentherapie zum Einsatz kommen oder (was mir persönlich bei Hämochromatose lieber ist) eine Hepcidinpille (Erklärung unten) o.ä.


Modifizierende (verändernde) Faktoren:
Eisen hoch durch
Alkohol
Virus-Hepatitis
gesteigerte Eisenaufnahme aus der Nahrung (viel Fleisch)
Fettleibigkeit (besonders bei Frauen)
Modifier-Gene :
verstärkend
-zusätzlich noch eine heterozygote HAMP,HJV usw Mutation, also eine Mutation, die bei homozygotem Vorliegen die juvenile Form der Hämochromatose verursacht.
-zusätzlich noch eine Mutation im HP 2-2 (Haptoglobin Gen), verstärkt Krankheitsbild
Abwesenheit von "B2m" fördert die Eisenspeicherung im Mausmodell (mehr dazu engl. http://www.jci.org/cgi/content/full/105 ... FIRSTINDEX

Eisen runter durch

Malabsorption: Erkrankungen die bei Unmutierten eine Eisenaufnahme aus dem Dünndarm erschweren und bei Nichtmutierten zu Eisenmangel führen (z.B. Zöliakie, Morbus Crohn)
Blutverlust: chronische Blutungen, meist gastro-intestinaler Blutverlust (Blutungen im Magen-Darmtrakt), best. Medikamente (Aspirin u.a.), Parasiten (Hakenwürmer u.a.)
erhöhter Eisenbedarf bei Schwangerschaften
modifizierende Gene z.B. im Mausmodell waren Mäuse homozygot für die sog. mk mutation in DMT1 and the Hfe knockout allele fitter als unmutierte (Quelle jci.org)
Genveränderungen, die bei Nichthämos Eisenmangelanämien verursachen (Quelle auch jci.org)

Beispiel für verschiedene Ausprägung der Gelenkbeteiligung-
Gründe, warum die Gelenkproblematik besonders ausgeprägt sein kann:
-zusätzlicher oxidativer Stress
-zusätzlich genetische Prädisposition für Arthrose (Es sind mittlerweile solche Genmutationen bekannt)
- ausgeprägte Schmerzwahrnehmung, Schmerzempfinden kann durch Psyche. Auch unterschiedliche Schmerztwahrnehmung hat erbliche Faktoren.

Eisenaufnahme aus der Nahrung/Eisenstoffwechsel
Wieviel Eisen aus der Nahrung aufgenommen wird ist abhängig vom Eisengehalt
der Nahrung, der Art der aufgenommenen Eisenverbindungen, dem
Gehalt der Nahrung an verschiedenen Zusätzen, der Azidität des Magensafts (wie sauer der Magensaft ist)
sowie von der Darmmotiliät (wie "bewegungsfreudig" der Darm ist)
Der Eisenstoffwechsel isteine komplizierte Angelegenheit, so wird die
Resorption durch diverse Botenstoffe reguliert, welche die aktuellen Bedürfnisse des Körpers signalisieren.
Auch hier zeigt sich, wie kompliziert der Eisenstoffwechsel ist: Zitat"Bei Störungen in der hepatischen Signalkaskade mit der Folge der gestörten
oder verminderten Hepcidinsynthese, kann es zur Eisenüberladung kommen,
wobei Störungen auf verschiedenen Ebenen zustande kommen können."

Quelle http://tobias-lib.ub.uni-tuebingen.de/v ... _DHPLC.pdf
(An der Universitätsklinik Heidelberg wird an Hepcidin geforscht:
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/E ... 301.0.html )

psychische Auslöser:
Ich halte genau Hämochromatose = vermehrte Eisenanspeicherung für eine derjenigen Erkrankungen, die weder durch die Psyche bedingt noch durch sie ausgelöst werden.
Allerdings kann Hämochromatose auf die Psyche wirken und Müdigkeit und Depressionen auslösen oder schon bei noch nicht durch Organschäden betroffenen HHlern, der Umstand genetisch sich irgendwie "defekt" zu fühlen anstelle, sich nur etwas"besonders" oder individuell :wink: zu fühlen .

Unser Körper befindet sich noch im selben Zustand wie in der Steinzeit. Er hat sich nicht anatomisch wesentlich verändert seit der Steinzeit bzw besser gesagt seit der Zeit der Kelten :wink: in der die Mutation vermutlich erstmals aufgetreten ist und sich seitdem erfolgreich gehalten hat.
Jemand, der das lebensnotwendige Eisen besonders gut anspeichern kann, war damals im Vorteil. Man wurde ja nicht so alt wie heute, selbst homozygot betroffene Männer konnten aufgrund von Blutverlust (Parasiten, Verletzungen....) , evtl anderer Ernährung und früherem Sterbealter längst nicht so viel Eisen anspeichern wie heutzutage.
Die HFE-Mutation hat sich erfolrgreich durchgesetzt. Sie bot Vorteile. Es wird sogar diskutiert, ob zumindest heterozygote Menschen manche Krankheiten wie z.B. die Pest besser überlebt haben.....( http://www.klinik.uni-mainz.de/Zentrall ... matose.pdf S.20 )
Somit müßten diejenigen, die Eisen "gut" anspeichern können, eigentlich als besonders "fit" gelten. Aber unsere heutige Wohlstandsgesellschaft macht uns einen Strich durch diese Rechnung.
(mehr dazu unter
evolutionärer Vorteil:
http://tobias-lib.ub.uni-tuebingen.de/v ... _DHPLC.pdf )
Im Hämokörper kommt es zu einem Mißverständnis, welches in unserer eisenreichen Zeit oft folgenschwer ist und zu Hämochromatose führt:
Der Dünndarm wird vom Körper nicht darüber informiert, daß der Körper schon eisenüberbeladen ist. Der Dünndarm "denkt" au weia, Körper hat Eisenmangel und schafft an Eisen heran, was er nur kriegen kann :wink: .
Dieses Mißverständnis kommt durch einen angeborenen Gendefekt zustande, nicht etwa durch einen psychischen Defekt.

Meine Meinung zu Hämochromatose ist, daß bei dieser Erkrankung genügend modifizierende Faktoren gegeben sind, um die Psyche z.B die genannten ungelösten Konflikte, Traumen, emotionale Zustände, Überlastungen usw. hier nicht als Auslöser zu vermuten.
Insbesondere die Gene sind für den Grad der Eisenüberladung verantwortlich und damit für die Ausprägung der Erkrankung. Hämochromatose ist eine multifaktorielle Erkrankung, soviel der Stand heutiger Forschung.

Meine Sicht zur Ausprägung der Erkrankung an den verschiedenen Organen:
Zwei Hämos mit gleicher Ferritinhöhe, einer hat Leberschaden, der andere nicht. Warum?
Jeder hat andere "schwache Organe". Auch ohne Psyche. Z.B. wiederum durch die Gene. Also wieder die modifizierenden Faktoren, zusätzlich belastende Einflüsse: Wer ohnehin schon die Leber belastet durch Fettleibigkeit, hohen Alkoholkonsum etc, wird eher einen Leberschaden bekommen als jemand, der gleichen Lebereisengehalt hat, aber sich leberschonend ernährt. Indirekt kann der Zustand der Leber jedoch durch die Psyche mitbeeinflußt sein, weil übermäßiger Alkoholkonsum und Adipositas durch psychische Konflikte gefördert werden können.

Jedoch eine ganz entscheidende Rolle spielt die Psyche meines Erachtens für die Krankheits- bzw Schmerzbewältigung :D . Und eine starke Psyche, die mit neagtivem Streß umgehen kann, ist gut für ein starkes Immunsystem, damit für eine stabile(re) Gesundheit.

Liebe Grüße


Lia
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BirgittaM
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Beitrag von BirgittaM »

:blumen
Danke! Wenn das ein Beitrag unter Zeitdruck war, dann möchte ich doch zu gern mal einen sehen, bei dem du gaaaaanz viel Zeit hattest.... :shock:
Dass wir Hämos nur in der falschen Zeit leben, hatte ich vor vielen Monaten schon mal irgendwo von dir gelesen - nette Vorstellung... :)
Gruß, Birgitta

Ärzte vollbringen Wunder, die sich manchmal erst in einer anderen Welt manifestieren (unbekanntes Genie).
Hanns
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Beitrag von Hanns »

Hallo Lia,
vielen Dank für die ausführliche Stellungnahme zu meinem Aufsatz. Ich finde Dein Engagement ohnehin SUPER, denn es scheint mir äußerst wichtig für uns alle zu sein, dass wir den bestmöglichen Zugang zum Stand der Forschung haben. Ohne Deine Recherchen wären wir hier, was die naturwissenschaftliche Begleitung dieses Forums anbelangt, schon ziemlich allein gelassen (glaub ich jedenfalls; aber man weiß ja nie, wer sich da im Hintergrund versteckt oder als Gast tummelt.

Auch die von Dir als Link angegebenen Doktorarbeit von N. Akbas (http://tobias-lib.ub.uni-tuebingen.de/v ... _DHPLC.pdf) hab ich mir genauer angesehen. Doktorarbeiten stellen ja immer sehr gründlich den aktuelle Stand der Forschung dar. Außerdem wird dort besonders genau zwischen Vermutungen (Hypothesen, Modelle usw.) und Tasachen unterschieden. Ergebnisse (oder Nicht-Ergebnisse) werden nicht schöngeredet, sondern nüchtern dargestellt. Ich fand es sehr interessant, die Einleitung dieser brandaktuellen Arbeit (von 2007) zu lesen.

Für die HH Typ 1 Mutation auf C282Y im HFE-Gen (das für die Eisenaufnahme im Darm zuständig sein soll) werden die Wahrscheinlichkeiten des Auftretens angegeben. Demnach (Seiten 17 und 18 ) hat jeder 10. bis 20. Bewohner von Nordeuropa dieses Gen heterozygot. Die Häufigkeit der homozygoten Mutation wird mit 1:300 bis 1:400 angegeben. Also 0,2 bis 0,3 % der Bevölkerung haben die Anlage zu HH Typ 1. Das wussten wir bereits.
Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Krankheit HH Typ 1 beträgt jedoch nur 1:4000 bis 1:5000. Wenn ich das umrechne, so heißt das:

Bei nur etwa 8 % der HH Typ 1-(homozygot!) bricht die Krankheit tatsächlich auf!

Das hat mich sehr überrascht, und ich muss korrigieren, was ich in meinem Anfangsaufsatz geschrieben habe. Damals bin ich nach anderen, möglicherweise veralteten Quellen davon ausgegangen, dass 10 bis 20 % diese Krankheit nicht bekommen. Aber es ist genau umgekehrt: Wohl etwa 90 % der Homozygoten bleiben demnach von einem Ausbrechen der Krankheit verschont!!!
Niedrige „Penetranz" nennen sie das.

Auch die von Dir angeführte Seminarunterlage der Uni Mainz (http://www.klinik.uni-mainz.de/Zentrall ... matose.pdf) drückt dies aus und erwähnt, dass eine genetische Erhebung breiter Bevölkerungsgruppen daher nicht sinnvoll ist (wohl deswegen, weil es nicht günstig ist, die Leute mit einem positiven Gentest zu ängstigen, wo die Gefahr zu erkranken doch relativ gering ist).

Dies bestätigt meine Vermutung: Die bekannten Genmutationen bewirken nur eine Veranlagung (Dispositon). Es fällt mir schwerer denn je, in diesem Zusammenhang noch von Gen-Defekt zu sprechen.

Eine weitere Erkenntnis aus dieser Doktorarbeit:

Bei einem relativ hohen Anteil (ca. 40 %) der untersuchten Patienten mit dringendem klinischem Verdacht auf Hämachromatose (infolge Symthomen und Blutwerten) konnte keine genetische Veranlagung festgestellt werden (nicht einmal heterozygot).

D.h. es gibt die Hämochromatose-Sympthomatik häufig auch bei Menschen, die nicht über eine der bekannten Mutationen verfügen.

Dies kann bedeuten, dass es HH-auslösende Genmutationen gibt, die wir noch nicht kennen; es kann aber auch bedeuten, dass noch andere Faktoren, die wir auch noch nicht kennen, ein Ausbrechen der Krankheit verursachen. Wir wissen dazu nichts genaues.

Zur Ursache: Stichwort „Multifaktorielle Erkrankung"

So wie Du, Lia, bin ich auch überzeugt davon, dass HH eine multifaktorielle Krankheit ist, d.h. durch das Zusammenwirken mehrerer verschiedener Faktoren ausgelöst wird. Eigentlich kann es gar nicht anders sein. Wie Kathrin glaube ich sogar, dass man noch andere genetische Anlagen finden wird, die das Ausbrechen der Krankheit wahrscheinlicher machen. Es wird sich zeigen, ob eine „Gen-Konstellation" gefunden werden kann, die zu 100 % zum Ausbrechen von HH führt. Es ist aber noch ein weiter Weg dorthin, der Jahrzehnte dauern kann, und wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, dass er gefunden wird.

Angesichts dieser Unsicherheit liegt es meines Erachtens viel näher, auch die anderen Faktoren (z.B. die, die ich anfangs mit Hyp B1 bis B3 skizziert habe) weiter zu verfolgen. Es ist mir nicht bekannt, ob in dieser Richtung systematische Forschungen laufen. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir da selbst einiges herausfinden können.

Zur Heilung: Gentherapie, Hepcidin-Pille - oder etwas anderes?

Gentherapie wird meines Erachtens völlig überschätzt, weil sie „in" ist. Da wird zwar viel Geld für Forschung lockergemacht, aber die Erfolge sind dünn bei gravierenden Mißerfolgen (sogar mit menschlichen Opfern!). Ich glaube, dass es auch hier noch Jahrzehnte dauern wird, bis die naturwissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet verlässliche Ergebnisse bringt. Auch die Realisierung einer verträglichen Hepcidin-Pille kann noch sehr lange dauern.

Ich lasse mich diesbezüglich gerne positiv überraschen, ich will aber auch nicht tatenlos jahrzehntelang daraufhinwarten.

So wie Du auch, Lia, will ich, dass wir heil werden, und zwar je schneller umso besser. Und da will ich mich nicht nur auf die Erkenntnisse einer Wissenschaft stützen, sondern offen sein für andere Erkenntnismodelle. Wir haben nichts zu verlieren!

Liebe Grüße
Hans
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Manes
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Beitrag von Manes »

Hmmm, intressant,

in dem letzten Beitrag waren für mich zumindest einige Zahlen neu. Weiterhin war die Geschichte bezüglich der nichtmutierten Kandidaten neu.
Ich möchte allerdings ein Hoffnung ein wenig bremsen und hoffe eigentlich auch, dass Hans es auch so gemeint hat.

Bitte nicht zuviel Hoffnung in die Gentechnik legen. Man kann mittlerweile alleine schon über Statistiken zu sehr vielen Krankheiten einen Gendefekt anführen. Selbst wenn denn irgendwann mal jemand noch weitere defekte Gene findet, die die vermehrte Eisenaufnahme im menschlichen Körper begünstigen wird dies nicht der wirklich der Behandlung weiterhelfen. Undum ehrlich zu sein, ich kann mir nicht wirklich eine Therapie vorstellen, die in die menschliche Zellerneuerung so eingreift, dass die Mutation nicht bei irgendeiner Zelle übrig bleibt (Man denke daran, dass der gendefekt an den Zellbestandteilen des Blutes betsimmt wird, der Defekt sich abwr im Dünndarm wiederfindet). Ich glaube von einer solchen Therapie sind wir noch mehr als ein oder zwei jahrzehnte entfernt. Vielleicht gibt es ja mal irgendwann so ein tragbares diagnose und Heilgerät, wie es schon in den ersten Startreck Folgen existierte, aber das wird dauern.
Den Wunsch diese Krankheit wieder loszuwerden, kann sicherlich jeder gut nachvollziehen, wer ist schon gerne Krank, egal womit. Und nur der "Verlust" der Krankheit bedeutet eine Heilung, alles andere sind irgendwelche Therapieformen, die evtl.gefunden werden müssen.


lg

Manni
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Lia
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Beitrag von Lia »

Hallo in die Runde :winken

Penetranz
Mal wieder eine Studie :erschreck
Norwegische Studie zur Penetranz
http://www.hubmed.org/fulltext.cgi?uids=17710673

Die meisten Hämochromatosepatienten sind homozygot für die C282Y Mutation. Jedoch nur ein (kleiner) Teil wird jemals eine klinische Hämochromatose bekommen. Die Schätzungen schwanken bei bisher vorgenommenen Studien deutlich.
Es stellt sich die Frage, wie man das Vorliegen einer Hämochromatose definiert: In einer neuen skandinavischen Studie wurde die Hämochromatose definiert durch das Vorliegen einer Leberzirrhose.
Das Ergebnis der norwegischen Studie, daß das Auftreten einer Leberzirrhose bei homozygoten Männern zwischen 3.4% and 5.0% liegt. Die Gefahr einer Leberzirrhose steigt mit zunehmendem Lebensalter an: 0.2% bei 35-jährigen bis ungefähr 10% bei 65- jährigen männlichen homozygoten Menschen. Bei Frauen tritt die Leberzirrhose deutlich seltener auf: die Prävalenz liegt bei 0.3%.
Das Studie zeigt, daß ein kleiner aber doch nicht zu unterschätzender Teil von C282Y homozygoten Männern untherapiert im Laufe ihres Lebens eine Leberzirrhose entwickelt.

"Ausbruch" von Hämochromatose- schleichender Prozess
Auch hier bei dieser Studie zeigt sich wieder, wie wichtig die Definition von "wann bricht die Krankheit aus " ist.
Ausbrechen ist es ja eigentlich nicht meines Erachtens, denn das Eisen lagert sich bei uns -ohne Aderlässe- kontinuierlich ALLMÄHLICH im Körper an. Es ist ein schleichender Prozess, der allmählich die Leber usw schädigt.

Da die Gelenkschmerzen jedoch auch schon bei nur geringgradiger Eisenüberladung auftreten können, wäre sie, wenn man "klinische Hämochromatose" über Gelenkschmerzen definieren würde, wohl viel häufiger.
Mir persönlich reichen meine Gelenkprobleme für das "Ausbrechen"...im klinischen Sinne dieser Studie habe ich dennoch wie die meisten hier keine Hämochromatose, da ich noch keine Leberzirrhose habe.

HFE Mutationen -erhöhtes Risiko für Erkrankungen?
HFE Mutationen stehen deutlich im Verdacht, das Risiko für diverse Erkrankungen zu erhöhen,
so verschiedene Studienergebnisse. (Krebs, Diabetes, Schlaganfälle...manche bedeutende Studien finden sich hier im Forum bereits in verschiedenen Forumsbeiträgen erklärt :wink: ..) Aber auch hier widersprechen sich die bisherigen Studien.
Z.B. die Ergebnisse dieser neue Studien gegenüber früheren Studien (engl)
http://www.hubmed.org/fulltext.cgi?uids=17828789
http://www.hubmed.org/fulltext.cgi?uids=17878720 sind, daß nur das Risiko für Lebererkrankungen und Porphyria cutanea tarda (und bei H63 Homozygotie für ALS) erhöht ist.
Nicht jedoch das Risiko für Diabetes mellitus und Schlaganfall...allerdings sind die Ergebnisse noch nicht wirklich repräsentativ.

Ich sehe das mit der genetischen Disposition für Hämochromatose so, daß erhöhte Eisenwerte ähnlich wie z.B. ein zu hohes Cholesterin ein erhöhtes Risiko für Gesundheitsschäden darstellen.
Jeder weiß, daß zu hohes Cholesterin vermieden werden soll. Die Pharmaunternehmen halten geeignete Präparate zur Senkung bereit.
Für die Senkung der Eisenwerte gibt es jedoch kein für eine große Zielgruppe geeignetes Medikament, sondern als Therapie fast nur den Aderlaß, der ohne Pharmaindustrie auskommt.
Meine Vermutung habe ich früher im Forum schon kundgetan: Gäbe es einen Eisensenker so wie es Cholesterinsenker (Statine) gibt, dann würde bei erhöhten Eisenwerten eine Eisensenkung ärztlich empfohlen zur Senkung des Risikos verschiedener Krankheiten wie ein 4-11 fach erhöhtes Risiko bei C282Y homozygoten Menschen, eine Lebererkrankung zu entwickeln.

Liebe Grüße :hua


Lia
Hanns
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Beitrag von Hanns »

Liebe Gen-Verwandte,
nach allem, was ich bisher über unsere „Krankheit" überlegt und, auch mit Eurer Hilfe und nach Sichtung alter Forumsbeiträge, herausgefunden habe, komm ich für mich zu folgendem Zwischenergebnis.
:schreib Ich will betonen, dass dies meine persönliche Sicht der Dinge ist, eine interne Arbeitshypothese gewissermaßen:

Bei allen Menschen befindet sich der Eisenstoffwechsel normalerweise in einem Gleichgewichtszustand, der ein ganzes Leben lang stabil bleiben kann: Es wird ebenso viel Eisen aufgenommen wie verarbeitet und ausgeschieden wird. Nun gibt es Menschen mit der genetischen Anlage, größere Mengen von Eisen im Körper umzusetzen, was sich durch erhöhte Ferritin- und Serumeisenwerte im Blut ausdrückt. Diese Anlage gibt es reinerbig (homozygot) oder gemischterbig (heterozygot). Der Eisenanteil der reinerbig veranlagten ist relativ hoch, aber auch der Eisenanteil der gemischterbigen liegt im Allgemeinen höher als der der nicht veranlagten Personen.

Unter gewissen Umständen, Auslösern (die ich noch herausfinden will) kann das Gleichgewicht des Eisenstoffwechsels entgleisen, d.h. es wird plötzlich mehr Eisen eingelagert als ausgeschieden werden kann. Das Eisen wird dann bevorzugt in die Leber eingelagert, die die natürliche Eisenreserve bildet, aber zunehmend auch in andere Organe, bevorzugt Drüsen. In der akuten Phase dieser Entgleisung treten meist Gelenkprobleme auf, besonders in den Fingern. Die Gefahr der Entgleisung des Eisenstoffwechsels ist bei reinerbig veranlagten höher als bei gemischterbig veranlagten, aber sogar nicht veranlagte können, wenn die Auslöser sehr stark sind, das Krankheitsbild der Hämochromatose (erhöhte Eiseneinlagerung mit Gelenkbeschwerden usw.) entwickeln.

Nach Beseitigen des Auslösers für die Entgleisung kann der Eisenstoffwechsel wieder in den stabilen Gleichgewichtszustand übergehen. Erst dann ist ein Hämochromatose-Kranker geheilt. Das während der Entgleisung eingelagerte Eisen sollte zur Entlastung der Organe unbedingt abgebaut werden (z.B. durch Aderlasstherapie).


Ich bekräftige noch einmal, dass dies meine Sichtweise ist, und dass man verschiedener Meinung sein kann. Ich bin gern bereit, meine Sichtweise zu verändern, wenn sich andere Fakten ergeben, ich denke aber, dass die bekannten, auch statistischen Tatsachen sich damit besser erklären lassen als mit dem Gendefekt-Modell. Außerdem gibt es uns Raum, etwas herauszufinden. Verzeiht mir, dass ich hier etwas eigensinnig bin, aber ich bin nun mal ein unverbesserlicher Optimist.
:weglauf
Grüße
Hans
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Beitrag von Manes »

Huhu Hanns,

möchte Dich Grundsätzlich bei Deiner Meinung belassen, aber Denkanstöße:

1. einer der Auslöser für die vermehrte Eisenspeicherung ist der Gendefekt an sich ja schonmal, wobei wir uns, so glaube ich zumindest, im Moment über einen Entfernng des Gendefektes nicht weiter zu unterhalten brauchen.

2. Auch die Lber ist eine Drüse. Sie spielt zwar beim Eisenstoffwechsel eine Rolle, sie hat aber nicht die Aufgabe das im Körper anfallende Eisen zu speichern (soweit zumindest mein Wissensstand über die Leber). Sie diehnt evtl als Blutspeicher, das wars dann aber auch. Ansonsten hat die Leber eine Entgiftungsfunktion.

3. Ich finde es gut, dass Du geschrieben hast, dass nach der Beseitigung des Auslösers, welcher auch immer sich zusätzlich zu den Gendefekten vielleicht irgendwann mal herausstellen wird, eine Heilung erfolgen KANN und nicht muss.

4. Das gespeicherte Eisen sollte nicht, sondern es muss unbedingt wieder aus dem Körper heraus, weil ansonsten die ganze Kiste über die Folgeerkrankungen relativ schnell letal endet.

lg

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Beitrag von christiane »

Wenn ich die Ausführung von Dr. Nielsen im UKE richtig verstanden habe, scheint der Grad der Eisenüberladung bei den Gelenkproblemen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Der Gendefekt an sich kann die Probleme womöglich auslösen.
Das würde dann auch erklären, warum einige auch bei sehr geringer Eisenüberladung diese Probleme haben oder schon lange vor Erkennen der HH diverse Gelenkschmerzen feststellten.
Aber ich glaube, Dr. Nielsen sagte auch, dass das noch nicht endgültig erforscht ist.

(hoffentlich hatte ichs richtig verstanden und wiedergegeben...)
Liebe Grüße
Christiane



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Beitrag von Hanns »

@ Manes
Danke für den Hinweis (Pkt. 1). Mir scheint, dass ich da noch ein mögliches Mißverständnis ausräumen muss:

Aus meiner Sicht gibt es keinen Gen-Defekt, sondern nur eine genetische Veranlagung - und es ist mir wichtig, dass wir uns über den Unterschied klar sind.

Ein Gendefekt würde zwangsläufig zur Krankheit führen. Nachdem aber ein sehr hoher Anteil derer, die diese genetische Besonderheit aufweisen, nicht erkrankt, liegt meines Ermessens keine Defekt (im Sinne von Schaden oder Ausfall) vor, sondern lediglich eine erhöhte Veranlagung (Disposition) zu einer Erkrankung. Diese Veranlagung ist ein Faktor, der das Ausbrechen der Krankheit begünstigt, aber sie ist nicht der Auslöser. Freilich können wir die genetische Veranlagung nicht ändern; wenn es also eine Heilung für diese Krankheit geben kann - wovon ich als Optimist ausgehe - dann können wir sie nur bei den Auslösern finden.

@ Christiane
Ich bin auch der Meinung, dass die Gelenkbeschwerden nicht vom Ausmaß der Eiseneinlagerung abhängen. Ich glaube aber auch nicht, dass die genetische Veranlagung direkt dafür verantwortlich ist. Meines Ermessens sind die Gelenkprobleme Ausdruck eines Ungleichgewichts, das entsteht, wenn der Eisenstoffwechsel entgleist. Ich verfolge da gerade eine heiße Spur und will Euch in Kürze darüber berichten (schließlich will ich ja nicht nur plappern, sondern auch vorankommen.)

Grüße
Hans
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Beitrag von Manes »

Jaja, wie bezeichne ich was, mit Deiner Erlärung aber richtig.

lg

Manni
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